Wolfram Lohße - Fotografie

Ansprache zur Fotoausstellung von Wolfram Lohße, 21.10.1996, Deutsche Bank Bremen

Sehr geehrte Gäste, lieber Wolfram Lohße,

die Deutsche Bank hat sich bereit erklärt, gemäß ihrem kulturellen Engagement, hier eine
Ausstellung zu zeigen, die sicherlich Interesse verdient hat.

Mit Wolfram Lohße haben dieser Ausstellungsort und das Team der hier Verantwortlichen einen
Fotografen aufgespürt, den zu zeigen es sich lohnt.

Wir spüren sehr deutlich: hier ist ein Mensch, der will uns etwas mitteilen, jemand, der in der Lage ist, die Sprache des Bildnerischen so einzusetzen, dass wir angesprochen sind, dass uns über das Schöne der Bilder hinaus etwas berührt, was mit einem künstlerischen Anliegen zu tun hat.

Wolfram Lohße, 1942 in Templin in der Uckermark geboren, kam mit 11 Jahren nach Bayreuth. Dort hat er auch seine ersten fotografischen Experimente gemacht und in Wettbewerben mehrere Preise erhalten. Nach seinem Lehramtstudium in Berlin zog er mit seiner Familie nach Bremen. Hier hat er, selbst leidenschaftlicher Gärtner, den bemerkenswerten Garten und den Pausenhof an einer Schule im Bremer Osten mitgestaltet, der als Kulturdenkmal im Bremischen Programm von Kunst im Öffentlichen Raum mehrfach Erwähnung gefunden hat.

Ich möchte nun etwas zu den Bildern sagen.


Es fällt sofort auf, dass hier in der Mehrzahl Fotos hängen, die die Phantasie in die Stille ländlicher
Gebiete, in die Natur, in die Intimität der Schönheit von Pflanzen und Landschaft lenken. Mohn,
Brennnesseln und Sonnenblumen, der verwelkte Blumenstrauß, die untergehende Sonne, Bäume,
Flussläufe; und dann der Herbst und der Winter, das bäuerlich anmutende Fenster, irgendwie träumerisch heile Welt inmitten von Computern, Bankabrechnungen, Büromöbeln.
Ein paar Fotos zeigen andere Themen z. B. Bremensien.


Es fällt auf, dass Lohße überhaupt nicht im Sinn hat, die Schönheiten der Natur nur ungebrochen zu zeigen. Wir sehen in sehr vielen seiner Bilder, manchmal erst auf den dritten Blick, dass sich da irgendwie Fremdkörper hineinschieben, dass es Überlagerungen gibt mit Motiven, die teils deutlich, teils auch sehr schwach identifizierbar sind. Erst einmal scheint sich alles noch im Lot zu befinden, auch die Überlagerungen, vielleicht auch die Untergründe entstammen dem gleichen Repertoire wie das Motiv: Landschaften, pflanzliche Elemente und hier und da ein Gebäudeelement. Gelegentlich
ein Spiel mit Doppelbelichtungen, Mehrfachbelichtungen. Es kommt zu Verläufen, zu einem Miteinanderverwachsen von Bildmotiven, die sich in ihrer Ähnlichkeit oder auch in ihrem Kontrast steigern und eine andere Bedeutungsebene anklingen lassen.
Das Foto wird normalerweise als verlässliches Medium für die Dokumentation von Situationen
verstanden, unbestechlich und ungetrübt von subjektiven Spekulationen hält die Linse fest, was als Farbigkeit, als Hell-dunkel ihr geboten wird.
Lohße bricht diesen dokumentarischen Charakter der Fotografie: Es geht ihm nicht um das
so genannte Einfangen eines Augenblickes, um das Festhalten von unersetzlichen Momenten. Er möchte eine Auseinandersetzung mit Wahrnehmung, die eben nie nur das sehen kann, was gerade vor die Linse kommt, sondern die immer durch Filter und Überlagerungen geprägt ist von Assoziationen, inneren Bildern, Erinnerungen, aber auch vom Wissen um die Dinge und von deren inneren und unabänderlichen Zusammenhängen.


Lohße zeigt in diesem Ansinnen auch seine Denkmethode: Hier auf dieser Stelltafel sind Bilder zu
sehen, die einen Baum, eine Baumgruppe noch ganz vom Augenblick bestimmt ins Bild bringen und
dann, gleich daneben sehen wir die gleiche Gruppe von Bäumen in einer eigenartig schillernden
Verfremdung, als doppelte Welt, als Verunsicherung des eigenen Handlungsraumes, in den wir uns im Geiste sonst bei Fotos so gerne hineinbewegen. Hier wird der Raum dimensionslos, das Unten und
Oben wird in Frage gestellt, damit wird der eigene Standpunkt irritiert. Elemente durchwuchern sich auf dem Foto und beim Hinschauen, irgendwie ist alles so dicht verzahnt, es gehört unauflösbar
zusammen, wie auch auf dem Foto nicht mehr zu unterscheiden ist, was zu welchem Baum nun
eigentlich gehört.


Oder das andere Bild dort drüben: Ein Feld mit Sonnenblumen, prächtig in seiner Farbigkeit, die die
Schwere des Spätsommers ahnen lassen. Tritt man allerdings näher, sieht es aus wie verkratzt,
natürlich ist das die Doppelbelichtung mit einem raffiniert ausgesuchten anderen Negativ, aber es ist
auch noch mehr: Der harmlose Blick auf das schöne Naturerlebnis, schon als Fotografie gebrochen,
wird dann zum reflektierenden Nachsinnen, über die Grenzen der Wahrnehmungsmöglichkeiten
medialen Wirklichkeiten gegenüber.

Das Foto darf nicht Ersatz werden für das, was die Natur, die Wirklichkeit selbst uns mitteilen kann,
und deshalb zeigt Lohße hier Bilder, die das Prinzip des „Sandwich“, wie es in der Fachsprache heißt, also der Belichtung von mindestens zwei Negativen auf einmal, nicht verwenden: Wir werden aufgefordert, die Erkenntnis, die wir in den doppelt belichteten Bildern erfahren haben, dass nämlich das Foto nur den inneren Blick auf das Motiv zeigt, auf die Bilder zu übertragen, die die Verfremdung im technischen Sinne nicht zeigen.
Wir erfahren dabei, dass unser eigenes Sehen und unsere Wahrnehmung mit zum Bild dazugehört und dass der Fotograf dies auch so will. Das, was manchmal auf diesen Fotos aussieht wie Spiegelungen, wo das Motiv plötzlich umkippt ins Unwägbare, aber auch in das Unwegsame, da sind diese Fotos am stärksten. Die Brillanz der Technik und die genaue Kalkulation der fotografischen Ebene, wenn auch das Zufallsprinzip bei der Herstellung der Bilder mit eine Rolle spielt, wird dann zum Ausdrucksmittel für Denkanlässe, wenn wir die Montage der Wirklichkeit als das Produkt unseres eigenen Denkens erfahren. Damit wird das Foto aus seiner Schnappschusswelt herausgerettet, es kann zum Dialog verschiedener Ebenen kommen. Syntaktisch auf dem Bild in der Mehrfachbelichtung präsent, wird dieser Dialog ein Anlass für uns selbst, uns im Laufe der Zeit, im Davor und Danach, im Innen und Außen wiederzufinden.

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Betrachten dieser Arbeiten.



Tilman Rothermel